2.2.4.2. Grammatische Interferenzen
Es muss darauf hingewiesen werden, dass eine gültige
Zuteilung konkreter linguistischer Phänomene in unterschiedliche
theoretische Sprachebenen wie Lexik, Phonetik oder Grammatik schwierig
vorzunehmen ist. Laut Weinreich (1976) existiert nicht bis heute vor allem eine
Einigkeit zur terminologischen Abgrenzung von Morphologie und Syntax einerseits
und von Grammatik und Lexik andererseits. Schottmann (1977, S. 15) geht in
dieselbe Richtung, wenn er behauptet: Da es nicht möglich ist, allgemein
verbindlich Morphologie und Syntax, Lexik und Grammatik zu trennen oder zu
definieren, was ein Wort ist, bleibt ungeklärt, für wie viele Ebenen
der Sprache man Interferenzbeschreibungen ansetzen und welche Einheiten man
differenzieren soll«. Diese Meinungsverschiedenheit in der Terminologie
macht Weinreich mit verantwortlich dafür, dass in der Forschung zum Teil
vollständig gegensätzliche Meinungen in der Frage der grammatischen
Interferenz vertreten werden. Diesbezüglich zitiert Weinreich verschiedene
Ansichten, die von einer vollständigen Negierung des Vorhandenseins
grammatischer oder zumindest morphologischer Interferenzerscheinungen bis hin
zur Behauptung reichen.
Um dieses Problem der terminologischen Abgrenzung von
Morphologie, Syntax, Grammatik und Lexik wirklich zu umgehen, erreicht
Weinreich (1976, S. 50) eine Einteilung der einzelnen Elemente aller genannten
Ebenen nach folgenden Kriterien: Er differenziert grundlegend einmal zwischen
grammatischen Beziehungen einerseits und Morphemen andererseits. Zu den
grammatischen Verhältnissen zählt er (1) Abfolgeordnungen, (2)
Kongruenz, Abhängigkeit und ähnliche Relationen zwischen
grammatischen Einheiten und (3) Betonungsverhältnisse. Eine weitere
Charakteristik der Unterscheidung präsentiert für Weinreich die
Notwendigkeit einzelner Kategorien in den verschiedenen Sprachen. Er verweist
darauf, dass die Notwendigkeit, gewisse Kategorien zum Ausdruck zu bringen, in
den einzelnen Sprachen häufig verschieden groß ist. Dies gilt
für grammatische Funktionen, die durch Morpheme ausgedrückt werden,
genauso wie für grammatische Verhältnisse. An letzter Stelle ist
Weinreich davon überzeugt, dass auch der Grad der syntagmatischen
Gebundenheit der Morpheme, wodurch einzelne Kategorien ausgedrückt werden,
eine bedeutende Rolle
68
spielt. Für den Transfer als gut integrierte Morpheme mit
komplexen grammatischen Funktionen seien dabei ungebundene Morpheme
anfälliger.
Weinreich (1976) stützt sich also auf diese
Unterscheidungskriterien, um folgende drei Grundtypen grammatischer
Interferenzerscheinungen, die durch Transferprozesse zwischen zwei Sprachen A
und B auftreten können, zu beschreiben: ,,(1) Der Gebrauch von A-Morphemen
beim Reden (oder Schreiben) in der Sprache B« (S. 51). Dabei werden freie
Morpheme - also einzelne Wörter - und vereinzelt auch gebundene Morpheme
wie etwa Flexionsendungen von der AS in die ZS übertragen. Weinreich weist
darauf hin, dass der Transfer ausgangssprachlicher Flexionsmorpheme in die ZS
jedoch extrem rar ist. Die Ursache dafür liegt sicherlich in der
Verschiedenheit beider Sprachsysteme. ,,(2) Die Anwendung einer grammatischen
Relation der Sprache A auf B-Morpheme in B-Rede, oder die Vernachlässigung
einer Relation von B, die in A kein Vorbild hat« (S. 51). Hier fallen z.B.
Übertragungen ausgangssprachlicher Wortstellungs- oder Kongruenzregeln auf
die ZS. In diesem Zusammenhang verweist Weinreich außerdem darauf, dass
Interferenz auch dadurch verursacht werden kann, dass Funktionen in der AS
durch Morpheme, in der ZS dennoch durch grammatische Verhältnisse oder
umgekehrt ausgedrückt werden. ,,(3) Durch Identifikation eines bestimmten
B-Morphems mit einem bestimmten A-Morphem bewirkte Änderung (Ausdehnung,
Reduktion) des B-Morphems nach dem Vorbild der Grammatik der Sprache A«
(S. 51). Aufgrund formaler und funktionaler Ähnlichkeiten werden die
Morpheme oder Kategorien der einen Sprache mit jenen der anderen
fälscherweise identifiziert. Dies kann beispielsweise zur Umformung einer
Kategorie der AS nach dem Vorbild der entsprechenden zielsprachlichen Form
führen.
|