Ein Gespenst geht um in der Welt: die Staatsraison, die zum
höchsten Gesetz der Menschen und der Nationen geworden
ist.«347(*)
Quelle der Misere ist der Graben zwischen der Rhetorik und
der Realität einer liberalen Weltordnung.«348(*)
Diese Arbeit problematisierte das Verhältnis zwischen
ehemaligen französischen Kolonien in Afrika südlich der Sahara und
dem Mutterland Frankreich. Die Untersuchung der französischen
Afrikapolitik, die seit der Unabhängigkeit, gaullistisch geprägt war,
kennt Hindernisse auf ihrem Weg zur Veränderung. Das von de Gaulle in den
späten fünfziger und frühen sechziger Jahren entwickelte
Konzept, das im Erhalt einer exklusiven afrikanischen Einflusszone eine
wichtige Voraussetzung für Frankreichs internationalen `Rang' sah- und die
politique de la coopération eng an die wirtschafts- und
sicherheitspolitischen Interessen des französischen Staates zu binden
suchte- hat in seinen Grundzügen bis in die Gegenwart überdauert.
Frankreich hat es in den vergangenen Dekaden erfolgreich verstanden, kolonial
erzwungene Abhängigkeiten in die asymmetrische Interdependenz
`privilegierter Beziehungen' zu überführen und sich im
pré-carré francophone als raumfremde Schutz- und
Hegemonialmacht zu behaupten.349(*) Nach den Demütigungen des Zweiten Weltkrieges
und angesichts begrenzter Macht- und Wirtschaftspotentiale bemühte
Frankreich sich, als eigenständiger Machtfaktor zu behaupten.
Wenn man sich die Entwicklungen der französischen
Afrikapolitik aus der Distanz und über den Zeitraum seit der
Dekolonisierung bis zu den jüngsten Entwicklungen der letzten Jahren
betrachtet, relativieren sich die in der Literatur dominierenden Beschreibungen
einer Kontinuität seit 1960350(*) und einem drastischen Wandel der Politik seit 1990,
beziehungsweise 1994. Erkennbar werden vielmehr konjunkturelle Schwankungen
einer Politik, die auch in den ersten dreißig Jahren nicht völlig
gleichförmig blieb. Zwar sind die Veränderungen in den neunziger
Jahren weitreichender als vorherige Entwicklungen.351(*)
An dem von kolonialen Traditionen, Geheimdiplomatie und
persönlichen Klientelbeziehungen geprägten Grundmuster der
politique africaine hat auch die Präsidentschaft Francois
Mitterands nicht Entscheidendes geändert. Unter Pompidou erlitt die
Afrikapolitik einen ersten Bedeutungsverlust, der von der interssenorientierten
Machtpolitik Giscards wieder ausgeglichen wurde. Die programmatischen
Ankündigungen der Sozialistischen Partei, hegemoniales Anspruchs- und
Prestigedenken durch ein an Menschenrechten, demokratischen Reformen und
Breitenentwicklung interessiertes Afrikaengagement überwinden zu wollen,
haben sich schnell in eine Realpolitik aufgelöst, in deren Mittelpunkt die
traditionellen außenwirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der
Grande Nation stehen.352(*)
Mit dem Ende der Kohabitation 2002 wird aber auch eine klare
Neuorientierung der Politik Chiracs zurück zu den Linien der alten
gaullistischen Afrikapolitik deutlich. Diese ab 2002 Rückbesinnung auf die
Grundprinzipien gaullistischer Afrikapolitik hat nicht wieder das alte Niveau
gewonnen.
Frankreichs postkoloniale Subsaharapolitik präsentiert
sich als komplexe, widersprüchliche und hinsichtlich ihrer Motive und
Folgen umstrittene Mischung aus kolonial gewachsenen Bindungen, geopolitischen
Kalkülen, ökonomischen Interessen und kulturellem
Sendungsbewusstsein. Dabei steht der Wandel der realen Politik in einem
auffälligen und erklärungsbedürftigen Kontrast zur
Gleichtönigkeit ihrer öffentlichen Begründung.353(*)
Um die heutige Lage besser verstehen und erklären zu
können, beziehe ich mich auf die Aussagen des Professors Mazruis, der
allgemein den Zustand Afrikas, folgendes beschrieben und dargestellt
hat :
Afrika befindet sich in einer Krise. Regierungen sind nicht
mehr stabil, die Wirtschaft steht unter Druck, die Infrastrukturen zerfallen.
Der Fluch der Vorfahren lastet auf dem Kontinent. Die heutige Generation der
Afrikaner hat sich mit dem 20. Jahrhundert arrangiert - aber diese Vereinbarung
ist grundsätzlich unehrenhaft und illoyal gegenüber den Prinzipien
der ursprünglichen Authentizität.
Das Ergebnis ist eine Verwestlichung ohne Modernisierung.
Afrika hat westlich-organisierte Armeen, die militärische Staatsstreiche
ausführen, es hat westlich-orientierte Polizeikräfte, die nicht in
der Lage sind, das Gesetz durchzusetzen, westlich-organisierte
Bürokratien, die in zunehmendem Maße korrupt sind und
westlich-orientierte Landwirtschaftspläne, die unzugänglich und
unproduktiv sind.
Es scheint, als ob die Vorfahren sich zu einem energischen
kulturellen Boykott verschworen haben. Erleben wir das Gegenteil einer
Modernisierung? Hat man letzten Endes erkannt, dass der Kaiser der westlichen
Zivilisation nackt ist?«354(*)
Die vor kurzem geschehenen Ereignisse355(*) in der Republik Togo, wo der
verstorbene Dinosaurier Etienne Gnassingbe Eyadema 38 Jahre lang über das
Land geherrscht hat, beweisen dass die im Prozess eines selbstbewussten Aufbaus
Zivilgesellschaft, erlaubt es nicht mehr wie früher Befehle aus der
ehemaligen Kolonialmacht durchzusetzen. Das ist ein Beweis der langsamen aber
sicheren Übernahme einer vollen Verantwortung vor der Geschichte des
Schwarzen Kontinents.